von Michael Fassel
Von Fausthieben, überforderten Polizisten und einem ratlosen Buchmessedirektor ist in den Medien die Rede, wenn es um die Berichterstattung zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse geht. Doch es sind nicht nur Verlage mit fragwürdiger politischer Ausrichtung, die provozieren – auch die Tochter eines Prominenten geht wütend auf ihren Vater los. Das Bild der Buchmesse ist zumindest in diesem Jahr angekratzt, beschmutzt. Dabei wird völlig übersehen, was das alljährliche internationale Zusammentreffen literarischer und intellektueller Geister auszeichnet, nämlich die kultivierten Gespräche mit Autor*innen, die man hautnah erleben kann und in der Regel auch für einen netten Small Talk Zeit haben sind.
Deshalb widmen wir uns als LiteraListen lieber dem, was von literarischer Bedeutung ist und nicht reißerisch in großen Lettern auf Titelblättern verschiedener Zeitungen steht. Auf der Buchmesse galt unser erster Besuch diesmal nicht den großen Verlagen, die ohnehin sehr begehrt und überlaufen waren, sondern dem französischen Pavillon, der labyrinthischer nicht hätte aussehen können. Die geschickte Anordnung spiegelt die Wege der französischen Literatur: Es gibt keinen roten Faden, aber sehr viele Kunst- und Fotobände, natürlich Comics, die in der Grande Nation einen ganz besonderen Stellenwert genießen als hierzulande und die zeitgenössische, hochaktuelle französische Literatur. Nein, die derzeitige französischsprachige Literatur hat mehr Gesichter als Houellebecq (den ich insofern schätze, als er mit „Unterwerfung“ mit literarischer Raffinesse die Leser*innen eine intellektuelle Mutprobe vorgelegt hat). Da tauchen vielmehr Namen wie Édouard Louis oder Virginie Despentes auf, die die Gegenwartsliteratur neu beleben: Nicht umsonst heißt es auf der Sonderausgabe der Zeit zur Buchmesse: „Frankreich schreibt wieder“. Ein offenbar lang gelähmter Literaturbetrieb scheint wie das Land selbst durch den französischen Präsidenten Macron nun wieder an Fahrt aufzunehmen.
Frankreich und andere französischsprachige Länder dieser Welt liefern ordentlich Literatur ab, seien es Romane, Autobiographien oder Mischformen. Doch was macht diese Bücher anders als unsere? Nun, sie befassen sich mit Frankreichs Vergangenheit, die doch eine ganz andere ist als die deutsche – und doch gilt es auch hier bestimmte Wunden aufzuarbeiten, wie etwa die jüngsten Anschläge oder die Zeit des Kolonialismus. Und wer weiß? Vielleicht lernen wir noch mehr und verstehen dann auch, warum die Franzosen bei jeder Reform in Massen auf die Straße strömen und lautstark demonstrieren.
Die französische Literatur kommt mit feinsinnigen und vor allem philosophischen Tönen, sind es doch nicht erst seit Sartre die Franzosen, die beweisen, dass Schriftsteller und Philosoph auch in einem Menschen zu Hause sein können. Tristan Garcia macht es derzeit vor.
Und was haben wir noch beim Buchmesse-Besuch mitgenommen? Natürlich zahlreiche Leseproben verschiedener Magazine und Zeitungen sowie vielfältige Eindrücke der Cos-Player. Sie haben die Buchmesse insbesondere vor dem Hintergrund der politischen Attacken sehr gut getan. Gut gelaunt und lustig posierten sie wie kleine Promis stolz für Fotos. Die Cos-Player brachten im buchstäblichen Sinne Farbe auf das Messegelände. Und farbenfroh soll es auch künftig auf der Buchmesse weitergehen. Und damit meine ich nicht nur die Cover von Neuerscheinungen.