22.09.2014: Zwischen Sommerspaß und Aufklärung

von Laura Schönwies

„Kamera an.
Eiswürfel rein.
Spender sein!“

Bastian Schweinsteiger hat es getan, Helene Fischer hat es getan und angeblich wurde auch Günther Jauch dabei gesichtet. Viele kleine Videos spielten sich von selbst ab, wenn ich auf meiner Facebook-Startseite herunter scrollte. Immer war das Gleiche zu hören: „So, jetzt hat es mich auch erwischt“, angebliche pseudo-moralische Hinweise á la „Aber das Spenden nicht vergessen“, gefolgt von einem lauten „Hoooahr, ist das KALT! Das reicht, mach die Kamera aus!“

Nachdem das Wasser in Strömen durch Facebook gelaufen ist, ging auch eine Welle durch die Medien. Eine neue Aktion war geboren, zugunsten der Erforschung und Bekämpfung der Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose). Betroffene leiden an einer rasch zunehmenden Bewegungsunfähigkeit, einem fortschreitenden Sprachverlust und Atemproblemen. Letzteres soll die Ice-Bucket-Challenge (zu Deutsch etwa „Eiskübelherausforderung“) in dem kleinen Moment simulieren, wenn der Herausgeforderte sich das kalte Wasser über den Kopf gießt und für einen Augenblick die Luft anhält. Daraufhin nominiert er drei weitere Personen, die es ihm gleich tun. Wer kneift, muss an die ALS-Association spenden, doch für das gute Gewissen lassen auch diejenigen ein paar Euro springen, die sich zuvor nass gemacht haben.

Wo hört nun die Aufklärung einer seltenen Erkrankung auf und fängt der erfrischende Sommerspaß an? Natürlich muss man nicht gleich bei jeder Regung die Moralapostel-Keule schwingen und jeden Trend im Keim ersticken. Schon Roberto Blanco hat gewusst: „Ein bisschen Spaß muss sein“. Warum also nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden?

Ich habe mir meine Gedanken über die Aktion gemacht, als ich im Radio ein Interview mit einer Betroffenen hörte, die auf Nachfrage nicht sagen konnte, wie es ihr wohl in einer Woche ergehe. Sie lebe von Tag zu Tag und müsse ihrem Körper beim rapiden Verfall zusehen. In manchen Momenten fiele ihr das Sprechen leichter, in anderen versage ihre Stimme. Wie schrecklich muss es sein, jeden Tag ins Ungewisse hinein zu leben! Sicher ein Zustand, den sich weder die fröhlichen Sommer-Spaß-Aktionäre noch ich in meinen Grübeleien ansatzweise vorstellen können. Das Schicksal schlägt in so einem Fall gleich doppelt zu, denn für die Pharmaindustrie ist ALS weitestgehend uninteressant, da die Krankheit sehr selten auftritt. Um auf die Notwendigkeit von deren Bekämpfung aufmerksam zu machen, halte ich eine Kampagne in den sozialen Netzwerken für einen sinnvollen Ansatz. Heutzutage strömen so viele Ratschlägen auf uns ein, wie wir jung und gesund bleiben sollen und dazu die Versicherung, dass der Burger von McDonald´s tatsächlich vom Bauern nebenan kommt. Da würde ein winziger Hinweis auf ALS auf der Rückseite der lokalen Presse doch untergehen. Es muss alles lauter, größer und aufregender sein, um wahrgenommen zu werden. Eine lustige Aktion, bei der man sich präsentieren darf und nebenbei scheinbar noch was Gutes tut.

Doch schon bald regten sich die ersten kritischen Stimmen, die ALS-Association würde mit den angehäuften Spendengeldern seit Beginn der Aktion unnötige Tierversuche finanzieren. Also wurde ich misstrauischer, bei der Aktion mitzumachen. Ich rechnete mir aus, wer von den Nominierten aus meinem Freundeskreis wohl mitmachen und mich als eines der nächsten „Opfer“ auswählen könnte. Ich wurde verschont, denn die Welle der Begeisterung scheint in Facebook so schnell wieder abgeebbt zu sein, wie sie aufgetaucht ist. Die Kettenreaktion der Weiternominierung ist abgebrochen. Glück gehabt!

Etwas Gutes hatte die Aktion aber auch für mich: Ich konnte mir überlegen, für welchen Zweck ich denn spenden würde, denn es zeichnete sich der Trend ab, auch andere Organisationen zu unterstützen, die nichts mit ALS zu tun, aber sicher genauso nötig haben, eine Finanzspritze zu bekommen.

Ich wurde stattdessen für die Dankbarkeits-Challenge nominiert: eine sinnvolle Sache ohne ungewollte Tierversuch-Nebeneffekte. Jeden Tag zählt man drei Dinge auf, für die man dankbar ist. Das kann von einer Genesung bis hin zum leckeren Brötchen am Morgen reichen. Das Spiel geht ebenso wie die Ice-Bucket-Challenge weiter, indem man drei weitere Personen nominiert, die nun in den kommenden sieben Tagen das Gleiche tun und ihre Dankbarkeit posten. Diese Challenge bekämpft zwar keine seltene Krankheit, aber sie kann dafür die Miesepeter verdrängen, die am liebsten nur meckern. Mit vielen Teilnehmern soll eine Welle der Dankbarkeit durch Facebook gehen.

In diesem Sinne: Danke fürs Lesen!