von Johannes Herbst
Das Navigationsgerät gibt zwei mürrische Fiepser von sich. Die 120 vorgeschriebenen Kilometer die Stunde wurden erneut von dem Opel Astra knapp überboten und der Fahrer durch das Geräusch zum Entschleunigen angehalten. Ich habe meine Augen nur einen Spaltbreit geöffnet und sehe die rote 123 auf dem Display aufleuchten. Ohne großen Bewegungsspielraum vergrabe ich meinen Kopf wieder in dem zusammengeknäulten Kapuzenpulli, der, gegen die Scheibe gestemmt, mir als Kopfkissen dient. Ich weiß, dass ich nicht schlafen kann, aber auf Reden habe ich auch keine Lust. Ich muss an die Werbung des Unternehmens blablacar denken, auf deren Internetportal ich auch meine jetzige Reisemöglichkeit günstig ergattern konnte. Vier Stühle, arrangiert in einem Viereck, sollen einen Autoinnenraum simulieren. Zu Beginn des Werbeclips sitzt eine blondhaarige Frau mit gelangweilter Mimik auf dem Stuhl vom Zuschauer aus vorne rechts. Kurz darauf begibt sich eine bekopfttuchte ältere Frau auf den „Beifahrer“. Eine Einstellung später haben sich auch zwei Männer auf die beiden hinteren Stühle platziert. Nach zögerlichem Begrüßen gerät die Gruppe in ein angeregtes und wie es scheint belustigendes Gespräch. Ausgelassene Stimmung. Dann wieder ein Cut zurück auf die blonde „Fahrerin“, die gelangweilt alleine in dem Stuhlviereck sitzt, dann wieder ein Cut zurück auf die amüsierte Truppe und nochmal und nochmal. „blablacar. Bringt Leben ins Auto“. Ich simuliere Schlaf in einem echten Autoinnenraum. Die 2-3 kläglichen Versuche des Fahrers, die auf mich und den Aufstieg der Fußballmannschaft von Red Bull Leipzig abzielten, scheiterten nach wenigen Wortwechseln. Die Mitreisende Jenny, die zu meinem Glück zuerst abgeholt wurde und den Beifahrersitz belegt, hat ihre Konversation nach der Frage, ob sie ihr Handyladegerät in den Zigarettenanzünder stecken könne , eingestellt und tippt seitdem ununterbrochen auf dem länglichen Rechteck herum.
Wie so oft verspricht die Werbung mehr als sie hält. Die angekündigte Konversation kommt nicht in Gang. Muss sie ja auch nicht. Mitfahrgelegenheiten habe ich schon oft in Anspruch nehmen können, als Mitfahrer. Es gab auch ein zwei Gelegenheiten bei den gutes Gespräch und Austausch stattfanden. Aber auf der anderen Seiten gab es auch Solotouren mit 45-Jährigen Elektrikern auf Montage, die ohne zurückhaltungforderndes Navi den Leuten gerne dicht auffuhren und sie als „Russenköpp“ beschimpften und den von mir geliebten Hip Hop als „Negergebimbel“ abstempelten. Ein anderes Mal saß ich mit sieben übermäßig Pigmentierten, wenn dies der politisch korrekte Ausdruck sein sollte, (wenn ich von der Anekdote erzähle spreche ich meist politisch unkorrekt von Afrikanern), in einem umgebauten Baustellenfahrzeug, das trotz seiner zusätzlich verklebten Sitze nur für sechs Leute ausgerichtet war und jemand auf den Koffern saß. Die Anordnung der Sitzbänke war nicht der deutschen Norm entsprechend und so saß ich auf einer im rechten Winkel angebrachten Rückbank, neben mir wurde immer wieder ein kleines Mädchen gestillt, das man mit ein paar Grimassen immer wieder zum Lachen bringen konnte.Der Fahrer telefonierte durchgängig ohne Headset und echauffierte sich lautstark auf Französisch. In diesem Auto lief einiges an Konversation, ich war aber eher in der Beobachterposition und beteiligte mich oft nur mit einem unverständlichen Grinsen und rudimentärem Französisch. Deutsche Steifness. Ich öffne kurz meine Augen. Jenny spielt noch an ihrem Handy, der Fahrer kaut an einem Snickers. Mit fiepsenden 122 km/h geht es über die A7 Richtung Köln und von da für mich mit dem Zug weiter nach Siegen. Laut Navi liegen noch 2 Stunden 34 Minuten vor uns und laut BahnApp noch weitere 1:58h vor mir. Der Urlaub an der Mecklenburgischen Seenplatte verblasst mit jedem Kilometer. Draußen rauschen Felder in grün gelblichen Herbstfarben an uns vorbei. Irgendwie muss ich an das Wort Flickenteppich denken, ich weiß gar nicht mehr genau, wann das genau in Deutschland so war mit dem Flickenteppich. Aber ich finde das Wort passt gut zu diesem Land. Ich weiß, dass es mir richtig gut geht, ich schließe meine Augen und habe das Gefühl schlafen zu können.