Ich habe wohl eine Missionarsphobie. Und das ist auch gut so

von Kathrin Wagner

Ich bin nicht homosexuell, trotzdem bekomme ich bei Facebook missionarisch anmutende Nachrichten von homophoben Christen, die mir sagen wollen „Outing ist out“ oder „Homosexualität ist heilbar“. Irgendwie müssen sie ihre Ansichten ja unters Volk bringen. Ich kriege eine Gänsehaut und das Frühstück will sich einen Weg durch meinen Mund in die Freiheit bahnen.

Die Frage, die sich mir stellt, ist: „In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich?“ Haben die ganzen Prediger der „normalen“ Beziehungen, um es umgangssprachlich mal auf den Punkt zu bringen, den Knall nicht gehört oder haben schlicht Angst vor Andersdenkenden, Andersfühlenden? Wie kann es sein, dass ein Matthias Matussek, meiner Meinung nach bewusst, einen Shitstorm im Internet auslöst, weil er der Meinung ist: „Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so“? Trotz des Aufschreis, der durch die Nation ging, wird er von vielen gefeiert und unterstützt. Und auch wenn er in seinem Text bereits versucht seine potenziellen Kritiker mundtot zu machen, indem er auf seine Gedankenfreiheit besteht, die zu seinem sogenannten Stolz als Publizist gehört, denke ich: Es ist bedenklich, solche Beiträge auf der Plattform einer großen deutschen Tageszeitung zu finden.

In seinem Text geht er auch darauf ein, dass die homosexuelle Liebe defizitär sei. Vielleicht sollten sich die Verfechter der gemischtgeschlechtlichen Ehe mal die Scheidungsrate anschauen. Allein in Deutschland zerbricht jede zweite Ehe. Mag das daran liegen, dass der Partner nicht der oder die Richtige war? Ja! Wenn die Hetero-Ehen nicht funktionieren und jede zweite Ehe geschieden wird, danach am besten noch fünfmal geheiratet wird, hat das dann noch was mit der Eheschließung zutun, die Gott vorsieht? „Bis dass der Tod uns scheidet.“ Recht frei interpretiert, es sei denn, die Ehefrau beschließt, dem verhassten Noch-Ehemann ein Messer in den Rücken zu rammen. Unüberlegte Ehen scheitern oder aber die emotionale Basis stimmt nicht mehr. Wenn heterosexuelle Paare das Recht haben zu heiraten und dann zu scheitern, haben homosexuelle Paare dieses Recht genauso! Vielleicht kann das nette schwule Paar von nebenan keine Kinder auf biologischem Wege bekommen. Das Kind, welches sein Dasein in einem trostlosen Waisenhaus in Weißrussland fristet, wird sich bestimmt nicht dagegen wehren, in besseren Verhältnissen aufzuwachsen. Lieber gehe ich zu einer Hochzeit eines sich liebenden homosexuellen Paares als zu der eines heterosexuellen Paares, das ausschließlich heiratet, weil beim vorehelichen Sex gerade kein Kondom zur Hand war und das Kind nicht ohne Vater aufwachsen soll. Wie romantisch! Das ist wohl der Grundgedanke der Eheschließung!

In Hollywood outen sich immer mehr Stars als homosexuell. In Sotchi bewies die homosexuelle Eisschnellläuferin Ireen Wüst dem russischen Staatsoberhaupt Putin, dass Homosexualität keine Behinderung ist, und holte Gold. Der NBA-Spieler Jason Collins hat sich, anders als Thomas Hitzlsperger, noch während seiner laufenden Karriere geoutet. Chapeau! Traurig, dass es in unserer Fortschrittskultur immer noch nicht „normal“ ist homosexuell zu sein. Nach außen hin sind alle ach so tolerant, haben aber Angst, in der Dusche vom schwulen Mannschaftskameraden angemacht zu werden, eine Aussage des ehemaligen Nationaltorhüters Jens Lehmann.

Um auf den religiösen Kontext zurückzukommen: Gott, bitte lass Hirn regnen!

Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der Aktivistinnen in Russland eingesperrt werden, weil sie sich gegen das System wehren. Ich möchte aber auch nicht in einer Welt leben, in der es normal ist, dass Schwule verprügelt werden, wie es 2013 unter anderem in Berlin der Fall war. Ich möchte bitte nicht pseudowissenschaftliche Texte lesen müssen wie „Homosexualität ist heilbar!“. Texte, die immer wieder auf Gottes Willen zurückgeführt werden. Was ist mit „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ passiert? Ich will, dass jeder gleich behandelt wird. Bitter, dass es noch immer nicht so ist? Definitiv. Wird sich was ändern? Ich hoffe es.

Alle, die Homosexualität als defizitär bezeichnen oder mit einem Fetisch wie Sadomasochismus vergleichen, stehen für mich für diese Welt, die sich hoffentlich bald ändern wird. Und wenn Herr Matussek irgendwann sein Rentnerdasein fristet, wird er sich vielleicht über die nächste Generation von Journalisten ärgern, für die es normal ist, dass Kinder zwei Väter haben oder in einer Transgenderfamilie groß werden.