Flaschenpost

von Michael Fassel

Und wieder gehe ich am Strand entlang. Ich schirme meine Augen ab und blicke auf die untergehende Sonne am Horizont. Der Wind pfeift so laut, dass ich das Schreien der Möwen nicht mehr hören kann. Immer suche ich mir stets solche Tage aus, an denen wenige Leute am Nordseestrand unterwegs sind. Ich gehöre nämlich zu denjenigen, die gerne Muscheln sammeln, obwohl ich weiß, dass sie weder meine Fensterbänke noch meine Schränke dekorieren, nein, sie verschwinden ja doch im Müll. Weiterlesen

Ohne Titel

von Theresa Müller

Ich sitze vor dem Laptop, schreibe Sven, ob er schon weiß, was er am Mittwoch bei der Lesung der LiteraListen vortragen möchte: „Eine Kurzgeschichte und vielleicht ein Gedicht“, antwortet er. „Ich habe jedenfalls vor die Leute ein bisschen zu schocken, mal schauen.“ Weiterlesen

Denn das Leben fängt in Schwerte an

von Nicola Airo

Auf nassem Asphalt fahren wir. Durch fallende Tropfen, die auf Frontscheiben explodieren. Zum Zerfließen von Wind getrieben beginnt ein Wettlauf. Vom Scheibenwischer unterbrochen, freie Sicht. Vorbei an Tankstellen, die wir nicht zum Tanken betraten. Rückkehr. Die letzten Nächte wurden kaum mit Schlaf gefüllt. Iso-Matten mit Polyesterhimmel. Wie gepuppte Raupen lagen wir in Schlafsäcken. Jetzt sind wir hier. Südöstlich von Dortmund, östlicher Teil des Ruhrgebiets. Neben Hörde und Hombruch, zwischen Syburg und Sümmern. Weiterlesen

Der Sektenführer und die schöne Stripperin*

von Tatjana Enns

Es war einmal ein junges Mädchen. Das hatte keine Familie und wuchs am Rande eines Dorfes auf, welches von schwerer Armut geplagt wurde. Ihr hübsches Gesicht und ihr  glänzendes Haar machten sie zu einer wunderschönen, jungen Dame. Doch all die Geldsorgen machten die Menschen im Dorfe blind. Ihre Augen waren verschlossen für das Schöne und Gute. Sie sahen nur die schlechten Dinge und waren sehr verbittert. Da schaute das Mädchen eines Abends hinaus aus seinem Dachkammerfenster und sah hinauf zu den Sternen. „Wie gern wäre ich doch reich“, flüsterte sie sich selbst zu. „Was bringt mir all die Schönheit, wenn ich doch nicht glücklich sein kann.“ Voller Trauer im Herzen entschied sie sich einen Spaziergang zu machen. Gekleidet in ihren alten Lumpen verließ sie das Haus. Schon bald entfernte sie sich immer weiter von ihrem Dorf und spazierte die Straße runter. Aus der Ferne hörte sie immer lauter werdende Klänge. Flackernde Lichter und rhythmische Musik erweckten ihr Interesse und da stand sie auch schon vor einem Haus, dessen Tür einen Spalt geöffnet war. Weiterlesen

Fronturlaub

von Sarah Buschmeier

Als ich das Haus wieder verließ, war die Welt eine andere geworden. Die Nacht war über die Stadt hinein gebrochen und der Herbst zeigte seine dunkle Seite. Regen fiel in finsteren Schleiern vom Himmel herab und im Rinnstein hatte sich ein kleiner Bach gebildet. Die leuchtenden Punkte der Straßenlaternen schwammen inmitten der Pfützen, die sich zwischen den Pflastersteinen gesammelt hatten. Weiterlesen

Erzählung (ohne Titel)

von Rebecca Luyken

Es ist Sonntagmorgen. Elf Uhr. Herr K. läuft durch den Wald. Das macht er jeden Sonntag. Eigentlich joggt er immer abends, weil er bis nachmittags keine Zeit hat. Da ist er immer in der Schule. Aber sonntags läuft er morgens. Im klaren Licht. Das mag Herr K. Die Pulsuhr an seinem Handgelenk zeigt 160. Herr K.‘s Herz schlägt gleichmäßig und kräftig. Er joggt, seit er in dieser Stadt wohnt. Herr K. hat eine kleine Wohnung, zwei Straßen von der Schule entfernt. Er unterrichtet Deutsch. Oberstufe. Herr K. liebt seinen Job. Besonders seit dem letzten Jahr. Da hat er den Deutschleistungskurs von Frau T. übernommen. Nicht sehr stark, der Kurs, eigentlich nichts, was ein Lehrer sich wünscht… Weiterlesen