Wie viele alte Damen ist Rosemarie Achenbach klein. Zierlich, aber kerzengrade. Wie 90 sieht sie nicht aus. Andere wirken mit Mitte 70 älter. Barfuss geht sie ins Wohnzimmer, wo noch die Geburtstagstafel steht. Sie will ihre Hörgeräte holen, schnellt ohne Last des Alters aus dem Sofa, findet die Geräte aber nicht. „Das kommt davon, wenn man so schlau ist“, sagt sie und der Schalk blitzt aus ihren hellblauen Augen.
1942 hat sie Abitur gemacht. Aber einfach so studieren? Nicht in Hitlerdeutschland. Ein halbes Jahr Arbeitsdienst in der Landwirtschaft, ein halbes Jahr Kriegshilfsdienst als Straßenbahnschaffnerin, das waren die Voraussetzungen zum Studium. „Viele Männer bekamen das Abitur geschenkt, damit sie schnell in den Krieg ziehen konnten“, sagt Achenbach. „Später mussten sie als gestandener Hauptmann oder Major wieder die Schulbank drücken.“ In München, kurz nach der Festnahme der Geschwister Scholl, immatrikulierte sie sich für Kunstgeschichte und wechselte nach einem Semester zur Psychologie mit den Nebenfächern Philosophie und Psychiatrie. Durchweg mit Kommilitoninnen. Kaum Männer, „nur ein paar Schwerverletzte kamen in Uniform“, erinnert sie sich.