Godot kommt nicht

von Florian Hilf

„Sehen wir uns später noch? So gegen drei?“
„Um drei? – Okay.“

Die Kieselsteine knirschen unter meinen Füßen, als ich durch den Park zum Wasser gehe. Also zum See. Einem See mit akkurat abgegrenzter Uferlinie. Kinder laufen zum Kiosk – ein Eis holen, eine gemischte Tüte kaufen. Daneben die Männer mit den Bierflaschen in der Hand, den Blick zum Stand gegenüber. Der mit den Pommes. Ob ich jetzt auch…? Nein, später vielleicht. Eine große Portion mit dir zusammen. Ja genau. Weiterlesen

Immer noch Heidelberg

von Johannes Herbst

Er schielte auf das Ziffernblatt seines Weckers, doch erahnte nur verschwommene Umrisse zweier Zeiger! Stille. Wie zuvor, Stille. Obwohl er sich mehrfach die Augen rieb und den Wecker aus verschiedenen Blickwinkeln begutachtete, konnte er ihn nicht klar sehen. Es musste so kurz vor sechs sein. Zufrieden und mit geschlossenen Augen klemmte er sich ein Stück Bettdecke zwischen die Beine und drückte seinen Kopf in das Kissen. Weiterlesen

Reise zur Grenzlinie

von Ramon Pelz

Die Flamme flackert hier in der unangenehm kühlen Zimmerluft und wirkt hypnotisierend auf mich. Die Kälte ist mir egal, ich möchte etwas erledigen. Ich, der da an einem alten Holztisch mit tiefen Furchen und dunkler Maserung sitzt. Nur eine Feder und Tinte sollen mir zu dem Zwecke dienlich sein, das leere, noch unschuldige Blatt Papier als zweidimensionales Objekt zu benutzen, um meine Gedanken, meine Gefühle, meine Erinnerungen einzufangen. Draußen ist es noch dunkel und noch kälter als hier, an meinem armselig leeren, krank wirkenden Tisch. Kein Regengeräusch, kein Donnern, wie es eigentlich treffend zur drückenden Stimmung würde beitragen können, denke ich mir, während ich wie gebannt auf die tänzelnde Flamme der Kerze auf dem Tisch starre, mit nahezu irrem Blick, die Augen angestrengt und in tausend Gedanken gleichzeitig wühlend. Weiterlesen

Die Wurzel allen Übels

von Johannes Herbst

In ruhigen, sich wiederholenden Bewegungen fuhr er mit seiner zitternden Hand durch ihre verklebten Haare. Kaum wahrnehmbar kauerten sie neben der stillstehenden Rolltreppe. Er lehnte sich gegen die orange gekachelte Wand, sie lag in seinen Armen und ihr Kopf hob und senkte sich bei jedem seiner Atemzüge.
Zuvor verabredeten sie sich um viertel vor sechs am Kiosk „Turkoz“ direkt neben der S-Bahnstation. Sie kam 20 Minuten zu spät, er rauchte zwei Zigaretten und kaufte sich eine Packung Kaugummis. Kontinuierlich formulierte er seine Gedanken in Sätze, stellte sie wieder um und versuchte ihre Reaktion vorauszuahnen. Als sie ihm aber von hinten auf den Rücken sprang, drängte sich ihr Geruch durch seine Nase und vertrieb alles, was gerade noch den Platz in seinem Schädel eingenommen hatte. Weiterlesen

Das Date

von Benedikt Smaluhn

Du bist zu früh. Du bist immer zu früh. „Lieber 30 Minuten zu früh als 5 Minuten zu spät“, sagst du immer. Manchmal fragst du dich, ob du auch so pünktlich auf die Welt gekommen bist, und nimmst dir vor, deine Mutter das nächste Mal, wenn du sie siehst, danach zu fragen. Aber wie so vieles hast du es bis dahin längst wieder vergessen. Als würdest du in deiner Wohnung in ein anderes Zimmer gehen und nicht mehr wissen warum. Du nimmst dir vor wieder mehr Memory zu spielen. Weiterlesen

Am Elbufer

von Sarah Buschmeier

Jeden Tag beobachtete er von einem Fenster aus die grau-grüne Ente. Zwischen Elbe und dem Mehrfamilienhaus, in dem er sich eine Wohnung gemietet hatte, befanden sich lediglich einige Linden und eine Straße. Es war Samstagnachmittag. Wie jeden Tag um diese Zeit war es sehr ruhig. Im Fernsehen lief die Sportschau. Es ging um Seeler, zum zweiten Mal war er Fußballer des Jahres geworden. Wieder starrte er aus dem Fenster. Lena, seine Ehefrau, war vor sieben Jahren gestorben. Eine Weile hatte er noch mit seiner Tochter in dem liebevoll von Lena und ihm hergerichteten Altbau gelebt. Das junge Mädchen war früh ausgezogen und hatte angefangen zu studieren. Nach einem heftigen Streit kam sie einfach nicht wieder. Sie wollte den elterlichen Raumausstatterbetrieb nicht übernehmen. Vielleicht hatte es ihr auch die fehlende väterliche Aufmerksamkeit leichter gemacht, ihr Zuhause zu verlassen. Nach dem Tod von Lena war er nicht nur einsamer, auch konnte er sein Mitgefühl nicht mehr ausdrücken und beschäftigte sich kaum noch mit seiner Umwelt. Den Betrieb hatte er aufgegeben, ohne Lena fehlte ihm die Inspiration. Seine Tochter hatte er nicht aufhalten können. Das Haus hatte er verkauft und war in diese anonyme Wohnung gezogen. Weiterlesen