Eine Zeit, in der Stil-Ikonen noch über Talente verfügten: Thomas Blubachers „Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck“

– von Anna Sebastian

Ruth Landshoff-York, gebürtige Ruth Levy, ist der Inbegriff des Frauentyps der 20er und 30er Jahre: Freizügig. Wild. Avantgardistische Künstlerin. Unruhige Weltenbummlerin. Überzeugte Antifaschistin. Unabhängig in ihrer Abhängigkeit ­­­ – sei es von dem Geld anderer oder dem Wunsch nach Aufmerksamkeit. Thomas Blubacher rekonstruiert in seinem Roman das Leben einer einst bekannten, doch heute in Vergessenheit geratenen Stilikone des 20. Jahrhunderts. Die Geschichte eines IT-Girls, welches berühmt war – lange bevor die Kim Kardashians und Paris Hiltons dieser Welt die Titelseiten bevölkerten und welches im Gegensatz zu jenen, nicht nur über Kontakte, sondern vor allem über mannigfaltige Talente verfügte.

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Morgendliche Ärgernisse – Das Zugabteil als Partyraum

von Anna Sebastian

Sie sitzt im Zug. Alltägliche Handlung. Banaler Anfang. Jedoch der wesentliche Teil dieser Geschichte. Sie sitzt im Zug.
Dass sie in diesem Zug sitzt, ist keine Selbstverständlichkeit – im Gegenteil: Der bisherige Morgen war geprägt von nervösem Trippeln, dem andauernden Starren auf die Uhr und einigem Rennen. Beim letzten Sprint konnte sie sich gerade noch durch die sich schließenden Tür des Zuges drängen. Nun sitzt sie, nach Luft schnappend, im hinteren Teil des Zugabteils, welches für einen Samstagmorgen überraschend leer ist. Den Grund hierfür wird sie schneller begreifen als ihr lieb ist. Während sich ihr Herzschlag wieder normalisiert, lauscht sie mit geschlossenen Augen der Lautsprecherdurchsage. Nur um sich zu vergewissern, nicht in der ganzen Hektik in den falschen Zug gestürzt zu sein.
„Früher bin ich gerne mit dem Zug gefahren“, denkt sie sich im Stillen. Jene Stille wird allerdings unterbrochen von dem kratzigen Sound eines Handys. Helene Fischer tönt durch das Abteil und ihr wird bewusst, aus welchem Grund das Abteil so leer geblieben ist. Begleitet wird die musikalische Folter von dem lauten und beinahe hysterischen Gekicher einer Horde von Frauen mittleren Alters. Sie wirft einen Blick auf die lachende Herde. Gut, vielleicht auch schon eher fortgeschrittenen Datums. Das ist jedoch unwichtig. Die langsam entstandene Ruhe der jungen Frau ist verschwunden. Es fällt ihr schwer, die Euphorie ihrer Mitreisenden zu teilen.

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