Mehr als Sachertorte und Schlagobers – Die Wiener Kaffeehaus-Kultur

von Michael Fassel

Gemütlich im Kaffeehaus eine heiße Schokolade trinken und beim Lesen einfach die Zeit vergessen. Ja, das ist in einer Hauptstadt möglich, denn die Wiener verstehen es, Lebensqualität zu atmen. Auch wenn man beim ersten Besuch von einer Sehenswürdigkeit zur anderen tapert und sich einfach an den prunkvollen (dieses Adjektiv nehme ich übrigens ausgesprochen selten aus meiner Wortschatzkiste heraus) Gebäuden optisch labt. Doch Österreichs Hauptstadt wurde und wird von namhaften Literatur- und Kulturschaffenden immer wieder durch den Kakao – pardon! – die heiße Schokolade gezogen. Der französische Schriftsteller Albert Camus bezeichnete in Der Fremde das Gesicht der Stadt als „oberflächliche, üppige Szenerie […] in der wenigst natürlichen Stadt der Welt […]“. Camus hat Vorarbeit geleistet, Kabarettisten wie beispielsweise Helmut Qualtinger oder Karl Farkas haben sich ebenso zu teils abwertenden, teils diffamierenden, aber gleichwohl provokant-unterhaltsamen Urteilen hinreißen lassen. Doch irgendwann hat auch das Verspotten seinen Reiz verloren. Wien-Bashing kann demnach heute nur geschehen, wenn man aus nostalgischen Gründen an dieser Traditionslinie festhalten will oder wenn man es metonymisch für die Regierung gebraucht.

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Zauberhafte Lieder

von Christian Bocksch

Joukahainen, Sohn aus reichem Hause mit einer bezaubernden Schwester, gehört nicht zu den sympathischsten Bewohnern des Landes Kalevala. Der schlaffe Jüngling verfügt jedoch über ein ungesund großes Ego. Er sieht sich als den besten Sänger des Landes, und behauptet am Anfang der Zeit Zeuge gewesen zu sein. Diese Kombination aus Inkompetenz und Hybris rächt sich schließlich, als er den Schlitten eines alten bärtigen Mannes absichtlich rammt. Dieser Mann, der weise Väinamöinen, erwartet eigentlich eine Entschuldigung des Jüngeren, doch dieser beschimpft ihn und fordert ein Wissens- und Gesangsduell. Beides verliert Joukahainen nicht nur, er verspricht Väinamöinen auch die Hand seiner Schwester und setzt damit eine Reihe von Tragödien in Gang.

Galiani

Buchcover „Kalevala“, Bildrechte: © Galiani Verlag 2014.

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Zwischen Arthouse und Glamour: Ein subjektives Blitzlicht auf die 68. Berlinale

von Michael Fassel

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Unlängst hat die Debatte über die Zukunft der Berlinale begonnen. Denn Festivalleiter Dieter Kosslick wird sich 2019 nach achtzehn Jahren von der Bühne verabschieden und das Zepter weitergeben. Wer das sein wird, darüber wird in den Medien noch fleißig und blind spekuliert. Da ist der Ruf nach „Entschlackung“ und nach einer „Neuorientierung“. Weniger Glamour, mehr Arthouse? Oder umgekehrt? Sicher ist, dass auch weiterhin weltbekannte Stars über den roten Teppich laufen werden, denn die Berlinale hat mit den Filmfestspielen in Cannes und Venedig zwei kraftstrotzende Konkurrenten, die ihr das Potenzial abschöpfen könnten. Und nicht selten heißt es, dass die ganz großen Filme ihre Premiere in Cannes hatten. Man denke beispielsweise an Pulp Fiction (1994, Quentin Tarantino) oder Amour (2012, Michael Haneke). So oder so, die Berlinale wird ihren Weg gehen, vielleicht auch mit neuer Handschrift. Nun möchte ich aber nicht in die Kerbe der wilden Spekulationen schlagen, sondern euch fernab von den Mainstream-Medien meine diesjährigen subjektiven Eindrücke als LiteraList berichten –  in einer Mischung aus Reportage, Kurzrezensionen und Kommentar.

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Die Nacht der Eule

von Andreas Hohmann

„Ali, denkst du wirklich, dass das nötig ist? Ich halte nichts von dieser absurden Kaffeesatzleserei.“
Alandina warf ihrem Verlobten über die Schulter ein strahlendes Lächeln zu, während sie ihn mit sanfter Gewalt in das auffallend unauffällige Zelt etwas abseits des Jahrmarkts zog.
Ein Schild vor dem Eingang verhieß die mystischen Dienste einer Madame Ophelia, die Interessierten einen erhellenden Blick in die Zukunft zu gewähren versprach.
Lord Wilmarth seufzte. Ihre Verlobungsreise nach Port Empériale war mit einem rauschenden Volksfest zusammengefallen. Er hätte es allemal vorgezogen, mit der Yacht eine ruhige Stelle vor der Küste anzusteuern und dort Zeit mit seiner zukünftigen Frau zu verbringen. Weiterlesen

Nächste Lesung am 25. Januar 2018

von LiteraListen

Liebe Freund*innen des guten literarischen Geschmacks,

SW LiteraListen

am Donnerstag, den 25. Januar 2018 startet unsere zweite und letzte Lesung in diesem Wintersemester. Die Lesung findet um 19 Uhr im Kultkaff der Uni Siegen statt. Alle sind wieder herzlich zum Vorlesen, Zuhören und Diskutieren eingeladen. Für kurz Entschlossene gibt es auch wieder Platz für einen spontanen Auftritt. Weiterlesen

Von Sartre bis Houellebecq – Iris Radischs kompakter Streifzug durch die französische Literatur der Nachkriegszeit

von Michael Fassel

Um die heutigen französischen Literaten und Intellektuellen zu verstehen, bedarf es mehr als ein Interview mit Michel Houellebecq zu lesen. Vielmehr ist ein Blick auf die Nachkriegszeit, auf Sartre und viele andere Autor*innen der vergangenen Jahrzehnte aufschlussreich, um sich ein literaturhistorisches und zugleich ein gesellschaftliches Bild der Literatur der Grande Nation zu machen.
Aber warum schreiben die Franzosen so gute Bücher, wie Iris Radisch mit dem Titel ihres Buches suggeriert? Die Redaktionsleiterin des Zeit-Feuilletons führt im unterhaltsamen Plauderton die Leser*innen durch das literarische Frankreich der Nachkriegszeit. Mit einem leicht subjektiven Blick hebt sie bekannte, umstrittene und teils – zumindest für deutsche Ohren – eher unbekannte Autor*innen hervor.  Weiterlesen

Dilemma einer Reisenden

von Kristin Scheller

Das Quietschen der Bremsen hallt mir noch immer in den Ohren, als ich auf den Knopf mit den zwei Pfeilen drücke, die mir Eintritt in den Wagon verschaffen würden. Die Farbe, die ihn bedeckt, ist teilweise bereits abgeblättert. Zu viele Hände berühren ihn Tag für Tag, tragen nach und nach die Pigmente ab, an jeder Station wieder und wieder. Ich berühre meine Schläfe, wie um dieses strahlende Gefühl abzustreifen, das sich durch meinen Schädel zieht, seit Metall auf Metall getroffen, gequält aufeinander herumgerutscht und letztendlich zum Stillstand gekommen ist. Die Türen öffnen sich und ich trete aus der milden Frühlingsluft hinein in die unbewegte Kühle des Zuges, suche mir einen Platz – einen freien Zweisitzer – und stelle meinen Rucksack neben mir ab. Weiterlesen