Von Schmetterlingen im Bauch, Fischen im Pool und Passwörtern im Kühlschrank

von Wiliam Mertens

Tanzend, mit suchenden Bewegungen bewegt sich ein achtjähriges Mädchen mit angenähten Schmetterlingsflügeln durch den heimischen Garten – eines von vielen metaphorisch aufgeladenen Bildern auf der 70jährigen Berlinale, die sich ebenfalls nach dem Wechsel der Festivalleitung von Dieter Kosslick zu Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek neu entwickeln muss. Der Garten stellt für die Protagonistin des berührenden französischen Dokumentarfilms Petite fille von Sébastien Lifshitz aus der Festival-Sektion „Panorama Dokumente“ einen sicheren Raum dar, in dem sie sich frei entfalten kann. Ihre Familie akzeptiert Sasha so, wie sie ist: Im Körper eines Jungen geboren, identifiziert sie sich schon seit ihrer frühen Kindheit als Mädchen. Doch in sehr aufwühlenden Interviews werden zum Teil Unverständnis und Druck durch die Gesellschaft sowie die daraus resultierenden psychischen Auswirkungen auf Sasha und ihre Familienangehörigen spürbar, die darum kämpfen, dass Sasha u.a. als Mädchen gekleidet zur Schule gehen darf. Insgesamt gelingt Lifshitz ein tiefschürfendes, engagiertes Plädoyer für Selbstbestimmung und Akzeptanz, das Sasha und ihrer Familie auf Augenhöhe mit Würde begegnet, nah an ihnen dran ist, nie reißerisch wirkt und dadurch zu echter Anteilnahme einlädt. Weiterlesen

Literaturtipp 2: Denis Schecks „Schecks Kanon. Die 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur von ,Krieg und Frieden‘ bis ,Tim und Struppi'“

Lektüretipp von Michael Fassel

Nein, ich möchte es mir nicht so bequem machen und in meiner Lektüreempfehlung einfach auf die 100 Werke verweisen, die der belesene Literaturkritiker Denis Scheck für hochrelevant erachtet. Vielmehr möchte ich auf den Lesegenuss dieses besonderen Buches aufmerksam machen. Mit unnachahmlichen Humor, Know How und erfrischendem Esprit weiß Denis Scheck auch vermeintlich sperrige Werke kurzweilig unterhaltsam zu vermitteln.  Weiterlesen

Der Jäger der los zog, die Welt zu erobern

Gametipp von Christian Bocksch

Mit dem Aufbausimulator „Dawn of Men“ versetzt das Spielestudio Madruga Works, von denen auch das Spiel „Planetbase“ stammt, die Spieler dieses Mal zurück in die Steinzeit. Durch sechs Zeitalter menschlicher Zivilisation entwickelt sich die geführte Siedlung immer weiter.

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Literaturtipp 1: Raymond Feists Midkemia Saga

Lektüretipp von Alexander Mosig

Du liebst Fantasy? Du hast Herr der Ringe im alljährlichen Rhythmus gerade zum 20ten mal durchgelesen und wartest sehnsüchtig auf das epische Ende von Das Lied von Eis und Feuer? Hohlbein und Heitz füllen deine Regale aber du suchst nach Abwechslung? Dann könnte der amerikanische Autor Raymond Feist genau der richtige Lesepartner für dich sein. Mit seinem Midkemia Zyklus hat er ein Fantasy Epos geschaffen, welches sich ohne Furcht mit anderen Riesen des Genres vergleichen lässt. Im Jahr 2016 wurde der erste Roman seiner Reihe neu aufgelegt und ist unter dem Titel Die Midkemia-Saga 1: Der Lehrling des Magiers in allen gängigen Buchläden zu erwerben. Die alten Ausgaben gibt es für kleines Geld als gebrauchte Werke. Weiterlesen

Der Spatz in der Hand

von Max Fendel

Als Markus S. vor zwei Jahren in die Berghütte seiner Firma eingezogen war, hatte er jeden Spiegel entfernt und jede auch nur minimal spiegelnde Oberfläche abgeklebt. Er rieb die silberne Teekanne mit feuchter Erde ein oder ließ auf den Herd gespritztes Fett eintrocknen, um auch jede mögliche Reflexion zu verhindern. Sein Smartphone und den Fernseher, welcher in der Hütte angeschlossen war, hatte er kurzerhand seinem Fahrer mitgegeben und ihm gesagt, er könne damit machen, was er wolle. Das Handy hatte keinen persönlichen Wert für ihn. Er hatte es noch nie wirklich benutzt, da sein eigentliches Telefon für die Ermittlungen beschlagnahmt worden war. Um jeden Kontakt mit der Außenwelt vermeiden zu können, vereinbarte S. mit dem Fahrer, dass seine Lebensmittelbox jeden Freitag um genau zwölf Uhr dreißig geliefert werden solle. Da die Hütte nur über einen alten Holzofen verfügte, würde er jeden Tag von zwölf bis dreizehn Uhr hinter der Hütte das für ihn bereitgestellte Holz in für die Ofenöffnung passende Stücke schlagen. Weiterlesen

Ninas Mäuse Episode 2 oder auch einfach Violas Monolog

von Mohini-Ann Ramachandran

„- Hallo Mami. Kannst du mich hören? Natürlich kannst du mich hören. Ich weiß du kannst mich hören.Aber kannst du auch sehen was bei mir so abgeht? Ich weiß noch genau damals…“

(Switch: Violas Mutter im Bad. Die Türabgeschlossen, man hört sie kotzen. – Nach circa zwanzig Minuten kommt sie heraus – wischt sich den Mund trocken. – Als sie nach einigen Stunden im Schlafzimmer sitzt und sich im Spiegel betrachtet – ihr Mann,Violas Vater…)

„- Bist du schon wieder schwanger?“ „- Violas Mutter, Laura genannt, antwortete nicht auf die Frage ihres Mannes, sondern stand einfach nur da, mit gesenktem Kopf.

„- Das Fünfte jetzt schon verdammt.“„- Brüllteer.

„- Kannst du mir mal sagen, wie ich die Blagen alle ernähren soll?“

„- Was macht das schon? Du weißt doch, das was Gott zusammen geführt hat soll der Mensch nicht trennen.“„– Erwiderte sie und dem Gebot Gottes, wurde widerspruchslos Folge geleistet.

„- Und dann war es da. Neun Monate später war es da. Nummer fünf. Lulu…“

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Über und gegen das Vergessen schreiben – Rezension zu David Wagners „Der vergessliche Riese“

von Michael Fassel

„Das Wohnzimmer sieht aus, als wäre es geplündert worden: Wo der Fernseher an der Wand hing, ist ein helles Rechteck auf der weiß getünchten Klinkerwand […] (S. 155).“ Was hier der Beschreibung nach wie ein Raub anmutet, ist keine Szene aus einem Krimi, sondern ein Einblick in die Gefühlslage eines Sohnes, der am Vortag seinen dementen Vater in ein Seniorenheim gebracht hat. Wenn nahe Angehörige dement werden, ist das oft ein Anlass, darüber zu schreiben. So auch David Wagners neuestes Buch Der vergessliche Riese, in dem der erzählende Sohn über seinen Vater schreibt, der allmählich sein Gedächtnis und auch peu à peu seine Autonomie verliert. Doch so tragisch sich dies zunächst anhören mag, ist der autobiographisch gefärbte Text nicht, der bewusst auf eine Gattungsbezeichnung verzichtet. Weiterlesen

Schreibwettbewerb der Literalisten

 

Kunst ist wahrer als die Wirklichkeit,

wirklicher als die Wahrheit.“

Thomas Clayton Wolfe

Wie können Geschichten erzählt und geschrieben werden? Gibt es in der Fiktion auch nur eine Wahrheit? Diese Fragen beschäftigten uns bei der Organisation dieses Schreibwettbewerbs. Denn es kennt bestimmt jeder das Gefühl, wenn man nach dem Lesen denkt: Warum hat sich die Handlung jetzt so entwickelt und nicht anders?

Der Wettbewerb richtet sich an alle Studierenden der Universität Siegen, egal ob Erstsemester*innen oder Bildungsveteran*innen. Es geht um Kreativität und die Lust am Schreiben. Weiterlesen

Misanthropen oder auch The Day Before You Came

von Mohini-Ann Ramachandran

Montagmorgen 4.00 Uhr: Kein besonderer Morgen, ein Morgen wie jeder andere auch. Louis machte ein Auge auf, sah auf den Wecker und spielte mit dem Gedanken ihn einfach klingeln zu lassen. So wie jeden Morgen. Mit einem Bein im und einem Bein aus dem Bett heraushängend, stand er widerwillig auf und schlunzte ins Badezimmer. So wie jeden Morgen.

Dort angekommen wurde erst einmal der Rotwein vom Vorabend in die Freiheit entlassen. Als er sich das Gesicht nach dem Waschen abtrocknete, sah er in den Spiegel und stellte fest, dass er mit seinen gerade mal 47 Jahren schon ziemlich viele graue Haare hatte und die Haut an seiner rechten Wange sich zu pellen begann. Der Anblick erinnerte ihn an ein Stück Backobst. Seine äußerst abstoßende von Pickeln besetzte Visage schien ihm eine Bestätigung dafür zu sein, dass er in diesem Leben wohl keine Frau mehr abbekommen würde, zumindest keine, die es ernst mit ihm meinte. Weiterlesen

Und jährlich schlägt das Bücherherz

Ein subjektiver Blick auf die Frankfurter Buchmesse 2019

von Michael Fassel

Frankfurt. Buchmesse. Menschen. Ein Gang irgendwo zwischen dem Arena und Ravensburger Verlag. Summend geht eine Frau vor mir her. Sie zieht ihren Trolley mit einer bewundernswerten Geduld durch die Massen an Bücherbegeisterten, die unmittelbar stehen bleiben oder nur sehr langsam vorankommen, das Tempo wechseln. Einigen läuft angesichts der überhitzten Hallen Schweiß von der Stirn. Doch niemand jammert. Kein Klagen über zu volle Rolltreppen, über zu teures Street-Food oder über die Preise gebundener Bücher. Bemerkenswerterweise gewinne ich der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr trotz des Ansturms am Verkaufs-Wochenende etwas Harmonisches ab. Denn die Menschen lesen (wieder). Völlig Fremde kommen über die neuen Bücher von Jojo Moyes ins Gespräch und stehen stundenlang für ein Autogramm an. Ein deutliches Besucherplus lässt das literarische Herz in der Bankenmetropole höher schlagen. Weiterlesen