Kohlenkind

von Kristin Scheller

Ich betrachte sie aus dem Augenwinkel. Hass brodelt in mir wie Gift in einem Hexenkessel. Niemand kennt sie so gut wie ich. Und das ist nicht bloß ein Spruch, nicht nur so daher gesagt. Ich kenne sie – ihren Geist, ihre Psyche, ihren Verstand. Die kleinen Narben und Kratzer auf ihrer Seele, die Risse, die sie durchziehen, die gähnenden Wunden ganz tief in ihr verschüttet – all das ist mir bekannt. Zu bekannt. Mir wird schlecht bei ihrem Anblick, in ihrer Gegenwart zehrt und schüttelt mein Seelenfrieden an mir, dreht mich weg, zieht mich in die entgegengesetzte Richtung. Weiterlesen

Raststätte

von Björn Vorspohl

Das rhythmische Klappern der Gepäckstücke auf dem Rücksitz wurde noch ein wenig lauter als der Kleinwagen auf den Rastplatz am Rande der A4 abbog und über die schlechte, mit Schlaglöchern übersäte Ausfahrt holperte. Der Fahrer, ein junger Mann von etwa 20 Jahren, wirkte genervt. Seine Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab und unter seinen Augen machten sich dunkle Ringe bemerkbar. Mit einem Gähnen lenkte er den Wagen in eine freie Parkbucht und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Weiterlesen

Dilemma einer Reisenden

von Kristin Scheller

Das Quietschen der Bremsen hallt mir noch immer in den Ohren, als ich auf den Knopf mit den zwei Pfeilen drücke, die mir Eintritt in den Wagon verschaffen würden. Die Farbe, die ihn bedeckt, ist teilweise bereits abgeblättert. Zu viele Hände berühren ihn Tag für Tag, tragen nach und nach die Pigmente ab, an jeder Station wieder und wieder. Ich berühre meine Schläfe, wie um dieses strahlende Gefühl abzustreifen, das sich durch meinen Schädel zieht, seit Metall auf Metall getroffen, gequält aufeinander herumgerutscht und letztendlich zum Stillstand gekommen ist. Die Türen öffnen sich und ich trete aus der milden Frühlingsluft hinein in die unbewegte Kühle des Zuges, suche mir einen Platz – einen freien Zweisitzer – und stelle meinen Rucksack neben mir ab. Weiterlesen

Fortsetzungsroman Kreuzfahrt

Kapitel 6

von Lisa Pilhofer

Maria öffnete die Tür einen kleinen Spalt und statt des seltsamen Ehepaars erblickte sie ihre roten Pumps, hochgehalten von ihrem vermeintlichen One-Night-Stand, der sie schüchtern angrinste. Verdutzt öffnete sie die Tür weiter und starrte abwechselnd auf ihre Schuhe und den grinsenden Pianisten. Zuerst freute sie sich, die schönen Pumps wiederzubekommen, und sie wollte schon die Arme ausstrecken, um sie entgegenzunehmen, einhergehend mit kurzen, aber freundlichen Worten des Dankes. Doch ein plötzlicher Gedanke verhinderte diese Geste: Woher hatte er jetzt ihre Zimmernummer? Kannte hier denn jeder ihre Zimmernummer? Ist in der letzten Nacht mehr passiert, als ein kleiner One-Night-Stand? War sie jetzt die Schiffs-Schlampe? Sie wurde wieder nervös und war kurz davor, die Tür sofort wieder zu verschließen. Ihr Schweigen verunsicherte den Pianisten und sein Grinsen erschlaffte. Weiterlesen

Fortsetzungsroman Kreuzfahrt

Kapitel 5

von Raphael Heumann

„You’re the real thing…“, murmelte Manuel Guitierrez seinem verschwitzten Spiegelbild zu. Er musterte kurz seinen aufgepumpten Körper und hievte die beiden gusseisernen Kurzhanteln wieder auf das Regal neben sich. Noch ein weiterer Blick auf die schwellende Bizepsader, ein weiterer Traubenzucker aus seiner Bauchtasche und es konnte weitergehen. „Even better than the real thing!“ In der Muskelstube seiner dominikanischen Heimatstadt hatten sie ihn zuerst wegen seines ungewöhnlichen Aufputschmittels aufgezogen. Nach ein paar Jahren jedoch hatte er alle überflügelt und seine Trainingskollegen eiferten ihm nach. Sie würden niemals seine Form erreichen, dachte Manuel und begann mit seinen Sit-Ups. Weiterlesen

Fortsetzungsroman Kreuzfahrt

Kapitel 4

von Johannes Herbst

Sie konnte nicht lange liegen bleiben. Ein leichtes Herzrasen überfiel sie immer wieder und auch ein ununterbrochener Schwindel zog ihr durch den Kopf, wenn sie ihre Augen schloss. Sie schwang die Decke zur Seite und setzte sich auf die Bettkante, wo sie erneut einen heftigen Anflug der inneren Disbalance auszuhalten versuchte. Ihr Körper schien unter Hochdruck zu arbeiten, während sich ihr Geist unter einem Schleier der Schlappheit versteckte. Weiterlesen

Fortsetzungsroman Kreuzfahrt

Kapitel 3

von Christian Bocksch

Sie saß kerzengerade im Bett. Den Blick starr nach vorne gerichtet. Vorsichtig, fast schon bedächtig, sog sie die Luft durch ihre Nase ein. Wegen der Abwesenheit von Traubenzuckerduft ließ sie enttäuscht die Schultern hängen. Mister Dextrose lag schon einmal nicht neben ihr, aber wer dann? Wollte sie das überhaupt wissen? Schließlich schaffte es ihre Neugier, die Schockstarre ihres Körpers zu durchbrechen. Langsam drehte sie den Kopf, und spürte ein schmerzvolles Pochen. Das müssen aber sehr, sehr viele Drinks gewesen sein, dachte sie. Es nützte alles nichts, sie musste jetzt Gewissheit haben.Scan0001

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Fortsetzungsroman Kreuzfahrt

Kapitel 2

von Andreas Hohmann

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00:15 Uhr. Warum mache ich diese Kreuzfahrt, wenn alle Männer auf diesem Schiff entweder verheiratet, nicht mein Typ oder angehalten sind, sich nicht mit Gästen einzulassen? Heute Abend im Speisesaal hatte ich das Gefühl, es gibt nur Eheringe, langweilige Unterhaltungen oder andere Gründe, das Weite zu suchen. Nur ein Gutes hatte der Abend: Leonardo mit dem Traubenzuckeratem, der aus La Romana. Ich habe ihn wiedergesehen, wenn auch nur im Vorbeigehen, auf dem Weg zum Essen. Und ich weiß immer noch nicht, wie er wirklich heißt. Aber er ist ein Leonardo, der Mann aus La Romana.

… ich glaube, das hier kommt nicht in den Blog. Weiterlesen

Winterwunderland

von Ankay

Mit einem leisen Seufzer lasse ich mich auf den Stuhl sinken und lange nach dem Radio, um dem ewig dahin quietschenden „Last Christmas“ den Saft abzudrehen.
Hätte ich Amanda doch nie diese CD gekauft…
Ich schmiege mich an das warme Leder des Sessels und blicke mich kurz im Zimmer um, bleibe mit dem Blick an meiner schlafenden Freundin hängen, lächele und drehe mich dann zum großen und einzigen Fenster im Zimmer, welches, wie alle anderen in unserer WG, zur Straße hin zeigt. Weiterlesen