Tränenlos

  • Von Lisa Höller

Ob es Tränen der Trauer oder Tränen der Freude sind, spielt für ihn keine Rolle – Hauptsache ist, dass sie fließen. Lange hat er nach einem Ort gesucht, an dem er seiner Sucht nachgehen kann, ohne anderen aufzufallen. Als er vor einigen Jahren wieder ein Mal geschäftlich nach München reisen musste, kam ihm die Idee. Seitdem fährt er jedes Wochenende zum Flughafen; dabei wechselt er wöchentlich zwischen der Ankunfts- und der Abflughalle. Heute hat er sich wieder einen Platz auf einer Bank im Abflugbereich gesucht, von dem aus er unauffällig und ungestört das Geschehen um sich herum beobachten kann.

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Fortsetzungsroman

Kapitel 2

von Johannes Herbst

Mit einem Tritt ließ Pascal das blankgeschrubbte Metall des Geschirrschranks vibrieren und verabschiedete sich mit einem lauten „Fuck“ aus der Küche. Kurz drehte er sich noch einmal um, riss sich das Haarnetz vom Kopf und schmiss es mit einem „Wichser!“ auf den Lippen Richtung Ernesto. Erschöpft landete das dünne Netz nach kurzem Flug auf dem Boden. Pascal stapfte fluchend durch den Gang. Weiterlesen

Klassenfahrt

von Marius Albers

Vermutlich würden einige Menschen sagen, dass wir hier und heute in einer klassenlosen Gesellschaft leben. Nun, eine offensichtliche sowie klar und explizit deklarierte Klassifikation lässt sich aber auch heute noch finden. Auf der Strecke Siegen-Essen rollen die Züge der Abellio (bei der Bahn ist es freilich nicht anders), in denen wie in den guten alten Zeiten zwei Klassen angeboten werden. Das normale Volk darf zusammenstehen (was nicht nur bei den kommenden sommerlichen Temperaturen manchmal etwas unangenehm wird), während in der ersten Klasse chronisch leere Sitze sehnsüchtig darauf warten, endlich einmal besetzt zu werden. Weiterlesen

Fortsetzungsroman

Kapitel 1

von Michael Fassel

Silberne Aufzugtüren öffneten sich. In seiner Kochbekleidung trat Ernesto heraus und schritt über einen langen finsteren Trakt. Das Licht machte er nicht an, er kannte den Weg auswendig und musste nur geradeaus gehen. Seine Sammlung an Besteck schepperte metallisch an seinem breiten Gürtel, in dem er seine eigenen Gabeln, Messer und Löffel aufbewahrte. Hochwertiges Material, das nur er benutzte und abends selbst abspülte. Er ließ es noch nicht mal zu, dass jemand anderes abtrocknete. Mitten auf dem Flur blieb er stehen, das Besteck verstummte mit seinen Schritten. Er glaubte, etwas gerochen zu haben. Es war nicht das Gulasch von gestern, sondern etwas erfrischend Herbes, das ihn sofort an ein blaues Meer denken ließ. Er ging weiter. Weiterlesen

Zwischen Bachelor- und Masterbürokratie

von Lisa Pilhofer

Ich gehöre zu den Leuten, die von dem Bachelor-Master-System nicht sonderlich begeistert sind. So wie ich das verstanden (und auch unter www.bachelor-studium.net nachgelesen) habe, dient die Umstellung von Diplom und Magister auf Bachelor/Master dem schnelleren Einstieg ins Berufsleben, der flexibleren Gestaltung des Studiums und vor allem der Vereinheitlichung des Abschlusses, der international anerkannt wird und einen besseren Austausch zwischen Universitäten möglich macht. Das heißt, man kann seinen Master auch an einer anderen Universität machen, man besitzt ja dieselben Voraussetzungen.
Soweit die Theorie. Weiterlesen

„Mysteriöses Wesen in Indonesien entdeckt – Dämon oder Missbildung?“

von Johannes Herbst

Eigentlich wollte ich – aufgrund eines kreativen Lochs – in dieser verspäteten Wortmeldung verschiedenste BILD-Überschriften sammeln und ohne Abstände aneinanderhängen. Das hätte dann ungefähr so ausgesehen:
ProfiGamerhabenÄrgerwegenPorno-SponsorE-Sport-LigasperrtYouPorn-TeamVater hacktVergewaltigerbeideArmeabJägertötetEinbrechermitKopfschussHatteJay-ZwasmitRitaOuraMysteriösesWeseninIndonesienentdeckt

Als ich merkte, dass die Idee doch nur halb so clever war wie ich dachte und auch die nicht-leserfreundliche Formatierung zur Attraktivität der Wortmeldung nicht gerade beiträgt, brach ich dann doch nach der vierten Schlagzeile ab und kurbelte nochmal neu. Die Bild.de-Homepage noch geöffnet. „Mysteriöses Wesen in Indonesien entdeckt“. Irgendwie hatte die letzte Überschrift ihren Zweck erfüllt und die rechte Maustaste wurde heruntergedrückt als der Pfeil auf dem Wort „Wesen“ lag. Was ich zu sehen bekam: Weiterlesen

Dead Man Walking – Finale

von Andreas Hohmann

 

Sein Name ist John Barrett, und er ist einzigartig. Weil er es als erster Mensch seiner Zeit geschafft hat, einen Polarwinter lang allein im arktischen Eis des Nordens zu überleben. Wie – das weiß niemand.

Dem Tod im Eis mit – wenn auch noch so knapper – Not entkommen zu sein, macht ihn drei Jahre später interessant für eine Forschungsexpedition unter der Leitung des Professors Dr. Dr. Emil Kanthorst. Ziel der Reise ist die legendäre Nordwestpassage – ein geheimnisumwitterter Seeweg genau in jener Region der Welt, in der John einst um sein Überleben kämpfen musste. Ob er den Weg kennt, weiß der Professor nicht. Denn John ist ein äußerst verschlossener Mensch. Aber er kennt die Gegend, viele ihrer Geheimnisse und die meisten ihrer lebensbedrohlichen Tücken.

Infolge seiner jahrelangen Reisen entwurzelt, knapp bei Kasse und ohne Perspektive, lässt sich John widerwillig auf die Expedition des Professors ein. Dass er überhaupt zusagt, liegt vor allem an Fernando Degaine und Luna McTye, zwei alten Bekannten aus Schul- und Studienzeiten. Sie sind die einzigen vertrauten Menschen, die ihm noch geblieben sind.

Nach mehreren Monaten beschwerlicher Seereise erreicht die Expedition den winterlichen Küstenort Port Vernon. Erst dort wird John bemerken, dass eine zweite Expedition mit der des Professors um die Entdeckung der Nordwestpassage konkurriert. Es wird ein Landgang mit Folgen …

 

*

 

Meine Kopfschmerzen sind von einem anderen Stern. Von der Übelkeit ganz zu schweigen.

Als ich wieder zu mir komme, ist alles grau: Die Wände, der Fußboden, die Decke. Es ist ein kaltes, steriles Grau, aber wenigstens explodieren keine roten und weißen Flecken mehr vor meinen Augen. Stöhnend versuche ich mich aufzurichten – nur um dann festzustellen, dass ich in einem provisorischen Bett liege und fixiert bin. Meine Arme und Beine sind an die Seitenstangen des Gerüsts gefesselt. Weiterlesen

Dead Man Walking – Part 6

von Andreas Hohmann

 

Sein Name ist John Barrett, und er ist einzigartig. Weil er es als erster Mensch seiner Zeit geschafft hat, einen Polarwinter lang allein im arktischen Eis des Nordens zu überleben. Wie – das weiß niemand.

Dem Tod im Eis mit – wenn auch noch so knapper – Not entkommen zu sein, macht ihn drei Jahre später interessant für eine Forschungsexpedition unter der Leitung des Professors Dr. Dr. Emil Kanthorst. Ziel der Reise ist die legendäre Nordwestpassage – ein geheimnisumwitterter Seeweg genau in jener Region der Welt, in der John einst um sein Überleben kämpfen musste. Ob er den Weg kennt, weiß der Professor nicht. Denn John ist ein äußerst verschlossener Mensch. Aber er kennt die Gegend, viele ihrer Geheimnisse und die meisten ihrer lebensbedrohlichen Tücken.

Infolge seiner jahrelangen Reisen entwurzelt, knapp bei Kasse und ohne Perspektive, lässt sich John widerwillig auf die Expedition des Professors ein. Dass er überhaupt zusagt, liegt vor allem an Fernando Degaine und Luna McTye, zwei alten Bekannten aus Schul- und Studienzeiten. Sie sind die einzigen vertrauten Menschen, die ihm noch geblieben sind.

Nach mehreren Monaten beschwerlicher Seereise erreicht die Expedition den winterlichen Küstenort Port Vernon. Erst dort wird John bemerken, dass eine zweite Expedition mit der des Professors um die Entdeckung der Nordwestpassage konkurriert. Es wird ein Landgang mit Folgen …

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Wenn Worte meine Sprache wären…

von Natalie Meyer

… meiner Meinung nach eine der wenigen ansprechenden Textzeilen des Popsternchens Tim Bendzko. Ich dachte eigentlich immer, dass Worte meine Sprache wären. Schließlich schreibe ich ständig – für die Uni, für die Literalisten, für Zeitungen und natürlich für mich selbst. Was es aber wirklich bedeutet, wenn Worte meine Sprache wären, das erfahre ich in diesen Tagen zum ersten Mal. Denn ich habe eine Kehlkopfentzündung. Zugegebenermaßen: Ich bin selbst dran schuld, habe bei einem Konzert am Freitag meine sowieso schon angeschlagene Stimme überfordert. Und es war leider geil.

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