Revolution auf Rezept

von Christian Bocksch

Oftmals passieren die wirklich entscheidenden Veränderungen an Orten, wo man so etwas zuletzt erwarten würde. Aber trotzdem, es gibt sie, und ich war vor nicht allzu langer Zeit an einem Refugium des geistigen Austauschs.
Die Praxis des Orthopäden lag etwas versteckt, und der Schock, bereits nach zwei Wochen einen Termin bekommen zu haben steckte mir noch in den Knochen. Ich trat an die Anmeldung heran, dahinter eine Sprechstundenhilfe, die Wörter in die Tastatur ihres Computers stanzte. Die Minuten vergehen, bis ich meinen ganzen Mut zusammen kratze und frage: „Hallo….Äh….Also ich wollte….Ich meine sollte…Hmm.“
„Ich bin nur Telefon“, unterbricht mich die Stimme meines Gegenübers. Weiterlesen

Der Destroyed-Effekt

von Lisa Pilhofer

Im Allgemeinen bin ich kein besonders risikofreudiges Kind gewesen und meine Bereitschaft zu Unternehmungen, bei denen meine Kleidung arg in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, verringerte sich mit zunehmendem Alter. Dennoch kann ich mich erinnern, dass ich mich bis zur siebten Klasse – wo das Aussehen plötzlich von Bedeutung war – nicht wirklich darum gekümmert habe, was ich anziehe, ob mein ‚Outfit‘ zusammenpasst und welche Aktionen ich darin besser nicht ausführen sollte. Ich kroch durch Erde und Gras, blieb an Büschen hängen, stolperte, wurde im Spiel am Hemd gezogen, beim Malen tropfte Farbe auf die Kleidung, ich rannte, bis die Füße qualmten und hatte die Taschen voller Kleinigkeiten, die ich im Laufe des Tages eingesammelt hatte. All das hinterließ Spuren, an denen man mehr oder weniger nachvollziehen konnte, welche Abenteuer hinter mir lagen: Weiterlesen

Lutherlöffel und Altbier

von Laura Schönwies

Goethe ein Luther-Experte? Ja, sagt Dr. Heike Spies, Stellv. Direktorin des Goethe-Museums in Düsseldorf. Sie konzipierte die Ausstellung „Bibel, Sprache, Wahrhaftigkeit. Goethe und Luther“. Und immerhin feierte der Dichter zu Lebzeiten 300 Jahre Reformation. Die Literalisten haben die Ausstellung besucht. Dazu eine Wortmeldung von Laura Schönwies.

Weiterlesen

Schön untot

von Christian Bocksch

„Rebel Without A Cause“ sollte im Fernsehen ausgestrahlt werden, und so zappte ich in freudiger Erwartung dieses Klassikers auf eines dieser Programme, die scheinbar aus 90 Prozent Werbung bestehen. Schlagartig wurde mir bewusst, wie alt ich geworden war, ohne es überhaupt zu merken. Die Welt der Kinderspielsachen hatte sich in den letzten Jahren verändert. Ich erinnere mich noch an Torwände und kleine Revolver-Attrappen, die knallten. Inzwischen stehen allen Nachwuchs-Freizeit-Söldnern und Partisanen, klobige  Projektilwaffen mit Infrarotoptik und GPS gestützter Steuerung zur Verfügung. Überraschend ist das nicht, in einer gefährlichen Welt braucht man keine Revolverhelden, sondern Black-Ops. Weiterlesen

Tote und ausgestorbene Helden der 90er Jahre

von Michael Fassel

Manchmal ist ein Besuch bei YouTube wie in einer alten Fotokiste stöbern – man trifft auf teils bekannte und vergessene Gesichter aus der Vergangenheit. Obwohl ich nach etwas anderem gesucht habe, bleibe ich oft bei den Highlights des Kinder- und Jugendprogramms der 90er Jahre hängen. Weiterlesen

Welcome to the Jungle

von Raphael Heumann

Der Chitinpanzer des vergebens um sein Leben zappelnden Käfers knirscht, als deine gebleachten Schneidezähne es vorsichtig, aber präzise in der Mitte zerteilen. Im Moment seines Ablebens, guillotiniert von einer höheren Macht, sind Millionen Augenpaare vor bundesdeutschen Flimmerkisten auf das in deinem Mund verendende Insekt gerichtet. Wer von euch beiden ist der tragische Held dieser Szene? Stößt dir der Gefühlscocktail aus Frust, Scham und Ekel bitterer auf als der reelle aus Ochsenfroschlaich und Alligatorenurin? Wo verzeichnest du deine Selbstachtung auf einer Skala von eins bis zehn? Weiterlesen

Menschenmüll

von Raphael Heumann

Sekündlich entsorgen abertausende Exemplare jener Spezies
die ein barockgelockter Schwede einst homo sapiens taufte
Plastik in Plastik
entgegen ihrer Nomenklatur
Auf Gedeih und Verderb sammeln die Menschenskinder grüne Punkte
auf knisternden Kunststoff gedruckt
garnieren auch das Asphaltlabyrinth ihrer Innenstädte mit solchen
als Ausgleich für Rodungen im annektierten Indioland
Der weise Carl von Linné wusste alle Untertanen des Menschen in Schubladen zu sortieren Weiterlesen

Heitere und nachdenkliche Töne – und die Sehnsucht nach Italien

Eine Rezension zu Jörn Hellers Lyrikband „Gute Gedichte und solche, die es gerne wären“

von Michael Fassel

„Gute Gedichte und solche, die es gerne wären“ – so lautet der jüngst erschienene Gedichtband von Jörn Heller. Schon hinter dem Titel verbirgt sich eine erfrischende Ironie: Nicht jedes Gedicht ist per se gut, will aber gerne gut sein. Das endgültige Urteil darf sich schließlich das Lesepublikum machen. Oder auch die LiteraListen, die gerne mal eine Leseempfehlung geben. Weiterlesen

Protokoll einer Peinlichkeit vor großem Publikum

von Andreas Hohmann

– Audiotranskript, anonym eingereicht –

(Der protokollierte Wortlaut des folgenden Auszugs wird von der aufgenommenen Person vehement abgestritten.)

*Man hört den Dozenten reden* … vor diesem Hintergrund kann ich die Einschätzung des Kollegen zur AfD hier nur zurückweisen. *Pause* Ja, ich weiß, wie es Ihnen geht. Selbstverständlich ist es für Anfänger wie Sie zunächst ein kleiner Schock, feststellen zu müssen, dass die Lehrenden an der Universität auf Ihre Fragen durchaus unterschiedliche Antworten geben. Zumal keine dieser Antworten zwangsläufig richtiger ist als die andere. Sie müssen immer berücksichtigen, dass Sie hier nicht in der Schule sind, wo es nur eine richtige Antwort gibt, weil der Lehrer sie bestimmt. Und Sie sind hier auch nicht in den Firmen, in denen Sie später vielleicht angestellt sind, und wo es darum gehen wird, Konkurrenten auszustechen. Hier, liebe Studierende, sind Sie an der Universität. Hier sind Sie an einem Ort, an dem gegensätzliche Meinungen kontrovers diskutiert werden können, dürfen und sollten. Weiterlesen