„Christliche“ Nächstenliebe?

von Natalie Meyer

Meine persönliche Adventszeit beginnt spätestens im November. Da wird es als armer Student dann Zeit, für den nächsten Monat Geld zurück zu legen, um damit vorzugsweise ALLE GESCHENKE bezahlen zu können. Weiter geht’s am 2. Advent. An einem Wochenende müssen sämtliche Plätzchensorten zusammengepanscht werden. Schließlich will ich jedem, den ich kenne, eine kleine Aufmerksamkeit schenken. Meiner Familie, Bekannten und Freunden. Hierbei kann leider auch keine Backmischung oder ähnliches benutzt werden, die Kenner merken das nämlich sofort. Und weil meine Omas solche Kenner sind, brauch ich damit gar nicht erst anzufangen. Hinzu kommt, dass ich sogar Menschen, die ich auf den Tod nicht ausstehen kann, was von meinen Schweiß- und Nerven kostenden Keksen schenken muss. Oh ja, das ist die “christliche Nächstenliebe”.

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Verschwitzt mit Kant im Zug und das Prinzip Pogo

von Johannes Herbst

Im Zug nach Siegen sitzend. Dem letzten Richtung Siegen an diesem Mittwoch. Mit der entknüllten Zeit in meiner Hand, hing ich nach vorne gebeugt mit meinem kapuzenumhüllten Kopf gegen den Vordersitz gelehnt und versuchte den Artikel im Feuilleton zu entziffern. Der Konsum von drei Longdrinks aus der Dose und mehrerer Äppler hatten sowohl auf meine Sicht sowie auf meine Konzentrationsfähigkeit eine beeinträchtigende Wirkung. Weiterlesen

Abgeschlossen

von Michael Fassel

Nach siebzehn Monaten bohrte sich der Schlüssel mit dem kleinen schwarzen Griff und der dreistelligen Nummer durch die Jeanstasche. Ein Eigenleben hatte er dabei keineswegs entwickelt, vielmehr war das Loch das Ergebnis einer langen Reibung, entstanden durch ständige ruckartige Bewegungen des Schlüsselbesitzers. Mit einem Florett in der Hand, das er immerzu in den Himmel stieß, anstatt seinem Duellanten zu beweisen, wer von beiden geschickter mit diesem Phallussymbol umging, platzte die Hosentasche Naht für Naht, bis der kleine Schlüssel lautlos durch die Jeans im Gras landete. Weiterlesen

Wie sehe ich mich selbst? Wer wäre ich gerne? Wie möchte ich gesehen werden? Zu einem Alltagsphänomen im Museum.

von Christian Schulz

Selfies sind überall. Die deutsche Fußballnationalmannschaft, Barack Obama und sogar der Papst sind auf einschlägigen im Netz kursierenden Selfies zu sehen. 2013 vom Oxford Dictionary zum englischen Wort des Jahres gewählt, legte das Selfie binnen kürzester Zeit eine steile (Medien-) WoWöGrafik1Karriere hin. Erst jüngst erregte das sogenannte „Flüchtlings-Selfie“ von Angela Merkel die sowieso schon erhitzten Gemüter in der Flüchtlingsdebatte.
In Düsseldorf, das nach einer Erhebung des „Time“- Magazins zu Deutschlands Selfie-Hauptstadt gekürt wurde, widmet sich nun eine Ausstellung im NRW-Forum dem massenmedialen Alltagsphänomen und bringt die Selfies ins Museum. „Ego Update“ zeigt 23 Exponate von nationalen und internationalen Künstlern und Medienschaffenden und versucht dem vermeintlich oberflächlichen Phänomen der Selfie-Fotografie auf die Spur zu kommen. Schon der Titel der Ausstellung verweist auf den dem Selfie inhärenten Aspekt der (digitalen) Selbstoptimierung und das damit einhergehende „Ideal-Ich“. Evident wird dies in der Ausstellung in der Foto-Serie „Alter Ego“ des britischen Fotografen Robbie Cooper, die zwar genaugenommen keine Selfies zeigt, sondern vielmehr die Avatare von Online-Spielern mit ihrer realen Erscheinungsform kontrastiert. Damit wird augenscheinlich nicht direkt auf das Selfie an sich eingegangen, es werden jedoch essentielle Fragen bzgl. des Antriebs Selfies zu schießen und online zu stellen berührt: Wie sehe ich mich selbst? Wer wäre ich gerne? Wie möchte ich gesehen werden? Der Ausstellungsbesucher kann, im Gegensatz zu den Online-Mitspielern, gewissermaßen hinter die Fassade blicken und wird damit zwangsweise mit Fragen, der auch Selfies zugrunde liegenden Dynamik zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie der Frage nach der Körperlichkeit konfrontiert. Weiterlesen

Rindfleischetikettierungsüberwachungs-aufgabenübertragungsgesetz

von Lisa Pilhofer

Am Samstag wollte ich auf Google nach Rindfleischrezepten suchen und bekam, nachdem ich gerade mal „rindfl“ eingetippt hatte, folgenden ersten Vorschlag von Google präsentiert: Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz. Weiterlesen

Die Flücht-LINGs-Krise in aller Munde …

Von Laura Schönwies

„Immer mehr Flüchtlinge versuchen über die Grenzen zu kommen“
„Flüchtlings-Unterkunft wurde angezündet“
„Flüchtlings-Krise spitzt sich weiter zu“

Kein Wort geht derzeit häufiger durch die Medien als „Flüchtling“.

„Flücht-LING“? Dieser Begriff macht mich stutzig…

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Morgendliche Ärgernisse – Das Zugabteil als Partyraum

von Anna Sebastian

Sie sitzt im Zug. Alltägliche Handlung. Banaler Anfang. Jedoch der wesentliche Teil dieser Geschichte. Sie sitzt im Zug.
Dass sie in diesem Zug sitzt, ist keine Selbstverständlichkeit – im Gegenteil: Der bisherige Morgen war geprägt von nervösem Trippeln, dem andauernden Starren auf die Uhr und einigem Rennen. Beim letzten Sprint konnte sie sich gerade noch durch die sich schließenden Tür des Zuges drängen. Nun sitzt sie, nach Luft schnappend, im hinteren Teil des Zugabteils, welches für einen Samstagmorgen überraschend leer ist. Den Grund hierfür wird sie schneller begreifen als ihr lieb ist. Während sich ihr Herzschlag wieder normalisiert, lauscht sie mit geschlossenen Augen der Lautsprecherdurchsage. Nur um sich zu vergewissern, nicht in der ganzen Hektik in den falschen Zug gestürzt zu sein.
„Früher bin ich gerne mit dem Zug gefahren“, denkt sie sich im Stillen. Jene Stille wird allerdings unterbrochen von dem kratzigen Sound eines Handys. Helene Fischer tönt durch das Abteil und ihr wird bewusst, aus welchem Grund das Abteil so leer geblieben ist. Begleitet wird die musikalische Folter von dem lauten und beinahe hysterischen Gekicher einer Horde von Frauen mittleren Alters. Sie wirft einen Blick auf die lachende Herde. Gut, vielleicht auch schon eher fortgeschrittenen Datums. Das ist jedoch unwichtig. Die langsam entstandene Ruhe der jungen Frau ist verschwunden. Es fällt ihr schwer, die Euphorie ihrer Mitreisenden zu teilen.

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Salzig wie das Meer

von Alicia Thelen

Ich muss immer noch daran denken. Ich habe mich längst wieder ans Zuhausesein gewöhnt, aber ich muss immer noch daran denken, wie wir beide ins Meer gesprungen sind. Wir hatten nichts zum Schwimmen dabei, es war nachts kalt und windig, nicht die besten Bedingungen also. Doch wir Verrückten mussten es darauf ankommen lassen. Wir waren mutig. Vielleicht hat uns das Bier auch erst mutig gemacht, aber was zählt, ist, dass wir uns getraut haben. Wir nahmen Anlauf und rannten durch den nassen Sand. Das Wasser in den Prielen spritzte zu allen Seiten, doch das machte es nur noch schöner. Die Wellen rauschten kraftvoll, tauchten uns in Salzwasser und wir gaben ihnen schreiend Antwort. „WAAAAH!“ Es war so kalt, dass ich dachte, mein Kopf würde gleich explodieren. Meine Hose war klatschnass und klebte bei jeder Bewegung fest an meinem Körper. Das Wasser drückte sich an meine Beine. Du warst so übermütig, du fingst an, zu tanzen und ich tanzte mit. Und das war auch unsere Rettung, denn hätten wir nicht getanzt, wären wir vor Kälte erstarrt. Erst zappelten wir hilflos, wie Fische, völlig ohne Struktur, du schlugst auf das Wasser und irgendwann griffst du auf einmal lachend nach meiner Hand. Alles drehte sich, ich drehte mich und du und das Meer. Ich konnte gar nicht mehr klar denken. Das Meer presste uns zusammen und in dem Moment war mir klar, dass ich mich für immer an diesen Augenblick erinnern würde.

Ich habe vergessen, wie lange wir im Meer getanzt haben und ich habe sogar vergessen, wie du heißt. Ich glaube, ich habe dich gar nicht nach deinem Namen gefragt. Doch in diesem Moment war das egal. Und ist es immer noch. Denn jetzt gerade packe ich meinen Schreibblock in meine Tasche und bereite mich auf die Uni vor. Das Semester beginnt wieder und du bist weit, weit weg. Was bleibt, ist nur diese kleine weiße Muschel, die du mir als Abschiedsgeschenk in die Hand gedrückt hast. Das reicht. Ich lege sie auf die Fensterbank. Wenn ich nach Hause komme, wird sie noch immer dort liegen und mich an den salzigen Geschmack des Meerwassers erinnern und – Dich .