Mogador, ein Ort der Träumer und Trinker

von Theresa Müller

Ein junger Mann verlässt fluchtartig seine Heimatstadt Düsseldorf und reist nach Mogador – eine alte Fischerstadt, die heute unter dem Namen Essaouira bekannt ist. Dort angekommen, besucht er ein Dampfbad, in dem er die alte Haut von seinem Körper abreiben lässt und sich einer „Häutung“, sozusagen „Neuschaffung seiner Person“ unterzieht. Damit beginnt der Roman Mogador von Martin Mosebach, in dem Patrick Elff, Investmentbanker, im Glaube an der Veruntreuung von millionenhohen Geldbeträgen beteiligt zu sein, vor den Gesetzeshütern wegläuft. Zwar steht zu Beginn der Kriminalfall im Fokus des Romans, doch einmal in Mogador ankommen, verschwindet dieser in den Tiefen des Meeres und es zeigt sich eine fernöstliche Stadt, die in einem mystischen Nebel zu verschwinden scheint. Weiterlesen

Heitere und nachdenkliche Töne – und die Sehnsucht nach Italien

Eine Rezension zu Jörn Hellers Lyrikband „Gute Gedichte und solche, die es gerne wären“

von Michael Fassel

„Gute Gedichte und solche, die es gerne wären“ – so lautet der jüngst erschienene Gedichtband von Jörn Heller. Schon hinter dem Titel verbirgt sich eine erfrischende Ironie: Nicht jedes Gedicht ist per se gut, will aber gerne gut sein. Das endgültige Urteil darf sich schließlich das Lesepublikum machen. Oder auch die LiteraListen, die gerne mal eine Leseempfehlung geben. Weiterlesen

„Wohin geht ein Mensch, wenn er nicht weiß, wo er hingehen soll?“

von Lisa Pilhofer

Alles fängt damit an, dass sich zehn Männer vor dem Roten Rathaus in Berlin versammeln und in einen Hungerstreik treten. Ihre Hautfarbe ist schwarz und sie sprechen kein Deutsch. Sie kommen aus Libyen, aus Nigeria, aus Äthiopien, aus Ghana, sie sind alle aus ihren Heimatländern vertrieben worden oder geflüchtet; und sie alle wollen in Deutschland bleiben und dort arbeiten. Weiterlesen

… wenn sie der Hafer des Wahnsinns sticht

Siegfried Lenz‘ Roman Der Überläufer (Hoffmann und Campe 2016)

von Marius Albers

Kurz vor seinem Tod im Oktober 2014 vermachte Siegfried Lenz sein persönliches Archiv dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Unter den Dokumenten befand sich auch das Manuskript zu seinem zweiten Roman Der Überläufer aus den 1950er Jahren, den er jedoch aufgrund von Unstimmigkeiten mit Lektor und Verlag nie selbst veröffentlichte. Doch was im ersten Moment klingt wie der angestaubte Archivfund eines berühmten Autors, erweist sich bei der Lektüre als hochaktueller Stoff. Weiterlesen

Gib mir Buch!

von Lisa Pilhofer

Diese Sätze hat bestimmt jeder irgendwann schon mal in verschiedener Form gehört:

„Isch geh Schule.“

„Lan, gibt mir Stift.“

„Bist du Bahnhof?“

‚Übersetzt‘ bedeuten das schlicht:

„Ich gehe zur Schule.“

„Ey, gib mir den Stift.“ und

„Bist du am Bahnhof?“

Was fällt auf? Die Präpositionen und Artikel wurden komplett weggelassen. Dieses Weglassen nennt die Soziolinguistin Diana Marossek in ihrem Buch Kommst du Bahnhof oder hast du Auto? „Kontraktionsvermeidung“. Die Berlinerin präsentiert hier die Ergebnisse ihrer Doktorarbeit zum Phänomen der verkürzten Sprache auf unterhaltsame und für den Laien verständliche Weise. Dieses „Kurzdeutsch“, wie sie es bezeichnet, wird mittlerweile nicht nur von Jugendlichen mit vorwiegend türkischem bzw. arabischem Migrationshintergrund gesprochen, sondern hat langsam seinen Weg in die deutsche Umgangssprache gefunden. Um herauszufinden, warum das so ist, wie es dazu gekommen ist und wie es im Alltag gebraucht wird, hat sich die Autorin in mehreren Berliner Schulen als Referendarin ausgegeben und fleißig die Konversation innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers dokumentiert. Weiterlesen

Eine kleine Schatztruhe

von Lisa Pilhofer

Das Buch steckt in einem dunkelgrauen Schuber, auf dessen Vorderseite ein schwarzes, glänzendes S. abgebildet ist. Bevor man das Buch aus dem Schuber nehmen kann, muss man erst einen Aufkleber vorsichtig entfernen. Auf diesem Aufkleber ist ein winkender Affe, das S. auf einem Kompass und ein großes, altes Segelschiff – es vermittelt den Eindruck, als wäre dieses Buch kein Roman, sondern handle eher von Naturwissenschaften. Ein Bibliotheksaufkleber befindet sich auch auf dem Buchrücken, was verwunderlich ist, schließlich wurde dieses Buch in einer Buchhandlung erworben. Der Einband sieht aus, als wäre er aus gewebten Leinenfasern, er fühlt sich auch ein bisschen so an, ist aber tatsächlich nur aufgedruckt. Schlägt man das Buch auf, wird es noch kurioser: Die Seiten sind vergilbt und es ist von vorne bis hinten mit handgeschriebenen Nachrichten und Notizen in verschiedenen Farben vollgekritzelt! Weiterlesen

Eine Zeit, in der Stil-Ikonen noch über Talente verfügten: Thomas Blubachers „Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck“

– von Anna Sebastian

Ruth Landshoff-York, gebürtige Ruth Levy, ist der Inbegriff des Frauentyps der 20er und 30er Jahre: Freizügig. Wild. Avantgardistische Künstlerin. Unruhige Weltenbummlerin. Überzeugte Antifaschistin. Unabhängig in ihrer Abhängigkeit ­­­ – sei es von dem Geld anderer oder dem Wunsch nach Aufmerksamkeit. Thomas Blubacher rekonstruiert in seinem Roman das Leben einer einst bekannten, doch heute in Vergessenheit geratenen Stilikone des 20. Jahrhunderts. Die Geschichte eines IT-Girls, welches berühmt war – lange bevor die Kim Kardashians und Paris Hiltons dieser Welt die Titelseiten bevölkerten und welches im Gegensatz zu jenen, nicht nur über Kontakte, sondern vor allem über mannigfaltige Talente verfügte.

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Spuren eines rätselhaften Mädchens

Rezension zu Margos Spuren von John Green

von Michael Fassel

Eine Leiche am Rande eines Spielplatzes in einem amerikanischen Vorort – diese Entdeckung macht der zehnjährige Quentin mit seiner besten Freundin Margo. Beide reagieren mit kindlicher Unvoreingenommenheit auf ihren Fund: „Ich wusste natürlich, dass es keine Zombies gab, aber er sah so aus, als könnte er doch einer sein“, so der Ich-Erzähler und Protagonist Quentin im Prolog des vielversprechenden Jugendromans von John Green. Mit Margos Spuren hat er 2008 seinen dritten Roman vorgelegt, der zwei Jahre später von Sophie Zeitz in Deutsche übersetzt und im Hansa Verlag veröffentlicht wurde. Am 30. Juli lief die Verfilmung in den deutschen Kinos an. Weiterlesen

… und dann kam Tschick

von Wiebke Kühlbach

Wolfgang Herrndorfs neuer Roman „Tschick“ ist eine wilde Berg-und-Tal-Fahrt durch die ersten großen Fragen im Leben eines 14-Jährigen mit einer Ladung Ironie auf der Rückbank.

Zum Glück bin ich keine vierzehn mehr!“ – Das hat wohl jeder von uns mehr als nur einmal gedacht, wenn er mit pubertierenden, lauthals kichernden Teenagern in der Bahn saß oder womöglich noch eins von diesen Exemplaren zu Hause hat. Türen knallen, laute Musik und Probleme, die wir nicht verstehen. Aber dann kam „Tschick“. Und mit einem Mal sehnen wir uns nach dieser Zeit zurück, als der Pausenhof das Zentrum des Universums war und einem die Sommerferien wie eine Ewigkeit vorkamen.

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Zwei Seiten eines Zauns. Fakten vs. Fiktion: John Boyne „Der Junge im gestreiften Pyjama“

von Wiebke Kühlbauch

Wenn wir mit dem Nationalsozialismus und den Schrecken des Holocausts konfrontiert werden, fragen wir uns oft: Wie konnte das nur passieren? Wie konnten so viele Menschen die Augen verschließen? Wussten sie denn nicht, was dort passiert?

Viele Autoren haben sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Beim „Vorleser“ sind wir empört aufgesprungen, bei der „Welle“ waren wir entsetzt und „Die Bücherdiebin“ hat uns zum Weinen gebracht.

Nun wagt sich der irische Autor John Boyne mit seiner Fabel „Der Junge im gestreiften Pyjama“ an dieses heikle Thema heran. Und auch er stellte sich vor dem Schreiben die Frage, wie möchte ich mich der Thematik nähern? „Durch die Augen eines Kindes, und zwar eines sehr naiven Kindes, das die schrecklichen Geschehnisse um es herum nicht versteht.“

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