Und jährlich schlägt das Bücherherz

Ein subjektiver Blick auf die Frankfurter Buchmesse 2019

von Michael Fassel

Frankfurt. Buchmesse. Menschen. Ein Gang irgendwo zwischen dem Arena und Ravensburger Verlag. Summend geht eine Frau vor mir her. Sie zieht ihren Trolley mit einer bewundernswerten Geduld durch die Massen an Bücherbegeisterten, die unmittelbar stehen bleiben oder nur sehr langsam vorankommen, das Tempo wechseln. Einigen läuft angesichts der überhitzten Hallen Schweiß von der Stirn. Doch niemand jammert. Kein Klagen über zu volle Rolltreppen, über zu teures Street-Food oder über die Preise gebundener Bücher. Bemerkenswerterweise gewinne ich der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr trotz des Ansturms am Verkaufs-Wochenende etwas Harmonisches ab. Denn die Menschen lesen (wieder). Völlig Fremde kommen über die neuen Bücher von Jojo Moyes ins Gespräch und stehen stundenlang für ein Autogramm an. Ein deutliches Besucherplus lässt das literarische Herz in der Bankenmetropole höher schlagen. Weiterlesen

Schnipsel

von Kristin Scheller

Gerda drückt die verzierte Holztüre auf. Die einzige im ganzen Haus, die nicht schlicht beige gestrichen ist, Pressspan zusammengehalten von bröckelnder Farbe, sondern massive Eiche mit sorgsam gepflegtem Lack. Sie quietscht unerträglich, denn Gerda kann sich nicht mehr tief genug bücken, um das untere Scharnier zu ölen. Doch für die alte Dame ist es das Geräusch von Heimat und Trost und vielleicht hat sie nicht immer nur vergessen, der Haushaltshilfe Bescheid zu sagen. Weiterlesen

Die Kopplung von Literatur und Wissenschaft: Ein Autorengespräch an der Uni Siegen

Wie eine spannende Lektüre zu einem Treffen mit dem Autor führt

von Alexander Mosig

Der Seminartitel „Resonanzerfahrungen der Moderne“ war für viele Studierende der Universität Siegen wenig greifbar. Erst mit der Beschäftigung mit wissenschaftlicher aber auch belletristischer Literatur lassen sich Verbindungen zum eigenen Leben knüpfen.
Die Seminarleiterin Frau Dr. Anke Kramer gibt Einblicke in das Thema Resonanz, welches sie fasziniert und fesselt und erklärt, warum sie den deutschsprachigen Schriftsteller Michael Ebmeyer zu einer Diskussionsrunde eingeladen hat. Weiterlesen

Nachlese: Eine Rückblick auf die Berlinale 2019

von Wiliam Mertens

Ohrenbetäubendes Piepsen, immer wieder die gleichen Geräusche prasseln auf mich ein, während ein kleines Kind völlig gefangen genommen von seinem Handyspiel ist, mehrere Passagiere den Vater vergeblich darum bitten, das Gerät leiser zu stellen und ich entnervt in der Bahn zum Flughafen sitze, auf dem Weg zur 69. Berlinale. Passender könnte mich die Bahnfahrt nicht auf meinen ersten Abend auf dem größten Publikumsfilmfestival der Welt einstimmen. Weiterlesen

Wenn Milchbauern auf die Barrikaden gehen – Ein Blick in Michel Houellebeqcs neuesten Roman

Rezension zu Michel Houellebeqcs Roman Serotonin 

von Michael Fassel

Das Lenkrad wird heftig nach links gerissen, der Wagen ist gefährlich nah am Abgrund. Der „Befreiungsschlag“ scheitert. Als Beifahrer an der Seite von Florent-Claude Labrouste möchte man sich in diesem Moment nicht wissen. Aber auch ohne dieses riskante, aus einem inneren Impuls gewagte Manöver würde man sich an der Seite des Ich-Erzählers und Anti-Helden in Michel Houellebeqcs neuestem Roman Serotonin nicht wohlfühlen. Der unter Depressionen leidende Mittvierziger hat keinerlei Hobbys und keine Freunde. Ebenso sind seine Beziehungen mit dem weiblichen Geschlecht gescheitert. Beim Lesen überkommt einen das Gefühl, dass suizidale Gedanken wie ein Damoklesschwert über der Hauptfigur schweben.

Handfeste Männlichkeitskrise

Schon zu Beginn klagt der Ich-Erzähler Florent-Claude Labrouste über seinen Vornamen, denn Florent passe sie nicht zu seinen „groben Gesichtszügen“, vielmehr zu einer „bottecellihaften Schwuchtel“ (S. 6). Wie bei Houellebeqc zu erwarten, deutet sich bereits auf den ersten Seiten eine Erschütterung des Männlichkeitsbildes des Protagonisten an, der sich als „substanzloses Weichei“ (S. 7) bezeichnet. Das Niveau des larmoyanten Duktus wird gehalten, allenfalls aufgelockert durch sarkastische Bemerkungen gegenüber Frauen, Homosexuellen und Migranten. Selbst längst überwunden geglaubte Vorurteilen werden durch den Ich-Erzähler erneut forciert, wettert etwa gegen Niederländer und Briten. Die unsympathisch wirkende Hauptfigur muss man aushalten, was eine literarische, aber auch gleichsam unterhaltsame Herausforderung darstellt. Weiterlesen

Große Themen, skurrile Figuren und ein Okapi

Rezension zu Mariana Lekys Was man von hier aus sehen kann

von Michael Fassel

Ein Dorf im Westerwald als zentrales Setting in einem Roman – das ist in der deutschen zeitgenössischen Literatur eine Besonderheit. Es muss nicht immer Berlin sein, um das pulsierende Leben darzustellen. Denn in ihrem Roman Was man von hier aus sehen kann entwirft die gebürtige Kölnerin Mariana Leky einen lebhaften Mikrokosmos, in dem ebenso skurrile Figuren für amüsante Unterhaltung sorgen. Weiterlesen

Eine kleine Weihnachtspredigt

von Tom Farnschläder

Meine lieben Brüder und Schwestern im Konsum,
es weihnachtet* sehr in unserer christlichen Hood und ich
komme nicht umhin, zu bemerken, dass der Business ordentlich
brummt.
All der Schund und Ballast, der sich über das ganze Jahr in
den Läden unseres Einzelhandels aufgestaut hat, wird nun in
einem reinigenden Prozess als Angebot getarnt und mithilfe
findiger PR-Fuzzies geschickt vermarktet an den Mann, die
Frau oder die Transsternchenperson gebracht. Weiterlesen

Konsumtradition oder Traditionskonsum?

von Reimund Bayerlein

Weihnachtszeit soll doch die geruhsame Zeit sein, “d’stade Zeit”, wie man im Bayerischen sagt. Manch wahre Genießer interpretieren diese Ruhe-verheißende Phase aber auch als die Halt-deine-scheiß-Fresse-du-Kotze-und-lass-mich-in-Ruhe-mit-deiner-Weihnachtskacke-du-Wixxer-Zeit. Zu welcher Position man sich auch bekennen mag, der traditions-bewusste Abendländer muss sich wie jedes Jahr die Kritik der Weihnachtsmuffel gefallen lassen. Und ich spreche nicht nur von jenen spitzfindigen Besserwissern, die in diesem christlichen Fest eine Ausgrenzung anderer Religionen sehen und unter dem fadenscheinigen Deckmantel integrations-schwangerer Sozialpolitik “Weihnachtsmärkte” in “Wintermärkte” umbenennen wollen. Hätte mich früher solch eine Fehlinterpretation des Integrationsbegriffs wutschäumend auf die Barrikaden gebracht, so entlockt es mir heut nur mehr ein resigniertes Naserümpfen gepaart mit Augenverdrehen und intensivem Kopfschüttlen – gern bis zur Bewusstlosigkeit. Weiterlesen

Fortsetzungsroman Kreuzfahrt

von Christian Bocksch

Das Finale

Manuel war schon lange genug in seiner Branche tätig, um das Geräusch zu erkennen wenn eine Waffe entsichert wurde. Er hielt inne.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich dieses junge Glück stören muss, aber wir sind geschäftlich hier“. Der Sprecher stand hinter seinem Rücken, aber da Marie erschrocken hin und her blickte, ging Manuel davon aus, dass zwei Personen da sein mussten. „Werner, darf ich bitten?“ Schwere Schritte nährten sich, Manuel ging seine Möglichkeiten durch, sollte er zu schlagen? Aber da drückte sich bereits die kalte Mündung einer Pistole in seinen Nacken. „Mach jetzt keine Fisimatenten, Bursche“. Er erkannte beide Stimmen, es waren der Rentner und dieser Jörg Wiedenkamp, aber wo war seine Frau? Manuel stand langsam auf, und wurde abgetastet. Seine Pistole hatte Manuel in seiner Kabine gelassen, eine Nachlässigkeit, für die er sich gerne geohrfeigt hätte. Trotzdem fand Werner etwas und hielt es belustigt hoch. Weiterlesen